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Freitag, 24. März 2017

Abraham a Sancta Clara (1644-1709): Fabeln und Parabeln (aus Blog von 11. Oktober 2012)

"Edelmann und Nußkern"

Ein solcher Edelmann, der seiner Voreltern adlige Tugenden nit auch samt dem Blut erbt, kommt mir vor wie jener Prahler, der in allweg die gemeinen und gewöhnlichen Leut für verworfne Kanallien gehalten und nur sein Haus dem babylonischen Turm gleich geschätzt. Dieser nahm auf eine Zeit eine Nuß samt der grünen Hülsen und unzeitigen Überhüll und sagte also: »Gebet acht, wie ich euch die 3 Ständ: den Bauernstand, den Burgerstand und den Edelstand so artlich werd entwerfen. Erstlich diese grüne Hülsen bedeutet den Bauernstand: diese Hülsen muß man herabschälen – so müssen die Bauern auch geschunden werden. Die andre Schal bedeutet den Burgerstand: diese Schal ist hart, wessenthalben sie muß aufgebissen oder aufgeschlagen werden – so haben die Bürger harte Köpf, derentwegen mit ihnen nit subtil und zart zu verfahren ist. Der süße Kern aber bedeutet den Edelstand« und beißt zugleich die Nuß auf, findet aber wenig Kern, wohl aber einen Wurm, – der ihm ins Maul peroriert. »Pfui, Teufel!« sagt er und speit ihn wieder aus.
Pfui, pfui und abermal pfui! sag ich auch zu einem solchen Edelmann, der ein Kern soll sein von schönen Tugenden, von herrlichen Taten, von adligen Sitten und ist darneben nur ein Wurm, der da nagen und plagen tut seine Untertanen.

(Aus: Projekt Gutenberg-DE, aus dem Web am 11.10.2012, http://gutenberg.spiegel.de/buch/4075/8)


"Greisin und Tod"

Es ist eine Fabel, aber einer Wahrheit ganz gleich, daß ein armes altes Mutterl einmal in den Wald gegangen, um daselbst Holz zu klauben und zu ihrer Notdurft mit sich nach Haus zu tragen. Wie nun die arme Haut eine ziemliche Bürde zusammengebunden hatte, diese aber aus Schwachheit nit konnte auf den Kopf heben, da hat sie angefangen, inniglich zu seufzen und zu weinen. »Ach«, sagte sie, »ich elende Tröpfin! Ich denk noch wohl, daß mir kein Stiegerl zu hoch gewest, kein Tanz zu lang gewährt hat, keine Arbeit zu stark und hart gewest ist. Jetzt bin ich schon alt und gar nichts nutz mehr. O, mein Gott, nimm mich lieber zu dir! Der alte Kram (wie ich einer bin) hat doch keinen Kauf mehr auf der Welt. O, wär ich halt tot! Oh, wär ich doch tot!« Über diesem kommt und erscheint der Tod persönlich mit seiner Sensen und sagt: »Alte, da bin ich, gleichwie du dir gewünscht und begehrt! Also stell ich mich hier gegenwärtig.« – »Ja, ja«, gerauzt die alt Husterin; »ich gesteh's und kann's nit leugnen: ich hab' dir gerufen, aber nur darum, daß du mir helfest, die Trag(last) auf den Kopf zu heben. Alsdann kannst du wieder hingehn, wo du bist hergekommen.«
Freilich ist dies ein äsopisches Märl und Gedicht; allein es will doch nit unförmlich andeuten, daß die Menschen so ungern sterben und sogar die alten und vielerlebten Leut sich vorm Tod scheuen; aber warum dies? O forchtsame und hasenherzige Adamskinder, ihr betet ja alle Tag im Vaterunser: »Zukomm uns dein Reich!«

(Aus: Projekt Gutenberg-DE, aus dem Web am 11.10.2012, http://gutenberg.spiegel.de/buch/4075/13)


"Spinne und Seidenwurm"

Eine Spinne hat einmal wahrgenommen, daß der Seidenwurm so emsig in der Arbeit ist und unaussetzlich Seiden zurichtet. »Mein«, sagt sie, »was bist du für ein seltsamer Gispel, indem du Tag und Nacht dich bemühst, Seiden zu machen, womit sich andre Leut bekleiden, und dir, armen Narren, nichts anders vorgesetzt wird zu einer Speis als ein geringes Maulbeerblatt? Tust dich also nur wegen andrer Leut fretten und abplagen! – Ich«, fuhr die Spinn fort, »bin in dem Fall weit gescheiter; denn obschon ich spinne, so kommt's meinem Balg zu Nutzen, da ich nichts mach als Garn oder Netze, worinnen ich die Mucken fang für meine Speis. Da wär ich wohl eine große Närrin, wenn ich mich wegen andern möcht plagen.« – »Du«, gab zur Antwort der Seidenwurm, »bist eine bekannte giftige Bestie und hast keine einzige Lieb zum Nächsten! Weißt du nit, daß die Ochsen für andre ackern, die Schaf für andre Woll tragen, die Bäum für andre Frucht bringen? Der ist ein schlechter Kerl, der für sich allein lebt und seinem Nebenmenschen nit auch dient!«

 (Aus: Projekt Gutenberg-DE, aus dem Web am 11.10.2012, http://gutenberg.spiegel.de/buch/4075/17)

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